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150 Jahre Amtsgerichte in Baden - Geschichtlicher Überblick und Statistik Amtsgericht Lörrach 2007

Datum: 14.11.2007

Kurzbeschreibung: 

150 Jahre Amtsgerichte in Baden

Amtsgericht Lörrach

I. Architektur und Geschichte

Architektonisches

„1865 wurde in der neu angelegten Bahnhofstraße eines der größten Gebäude in Lörrach erbaut: das Großherzoglich Badische Amtsgericht. Der Architekt ist unbekannt. 1872 wurde die mit dem Amtsgericht baulich verbundene Hebelschule gebaut. Mit diesen beiden Bauten wurde in Lörrach erstmals auf Renaissanceformen zurückgegriffen. Vorbild war der Pallazzo della Cancelleria (1483 -1511) in Rom. Beim Bau des Amtsgericht wurde ein aus der Schweiz stammender Sandstein verwendet, der seit dem Bau des älteren Hauensteintunnels erschwinglich wurde.

(aus „Das Markgräflerland“2/02)

„Nachbarlich neben dem Volkschulgebäude, die stattlich edle Frontseite der unteren Bahnhofstraße zugewendet, ragt monumentalen Stils, groß und schön in drei Stockwerken das Gebäude des Amtsgerichts, aus dessen umschlossenem Hofraum der Turm des aus rotem Sandstein ausgeführten Amtsgefängnisses trotzig das Haupt hebt.“

(aus: Stadt Lörrach, Ihre Entstehung und Gegenwart, 1882)

Eine einfachere Massierung haben die guten Architekten auch im 19. Jahrhundert beibehalten. Gehen wir in Lörrach nachts durch die Bahnhofstraße und über den Hebelplatz und betrachten wir die sich im Dunkel viel besser als am Tag zusammenballenden Baublöcke des Bezirksamtes, des Amtsgerichtes (alter Bau: 1865; Architekt?) und der Hebelschule (alter Bau: 1871/72 von Bezirksbauinspektor Hemberger errichtet), so sehen wir am zuerst genannten Gebäude eine unruhige ausfahrende Silhouette, an den beiden letzten einen ruhigen geschlossenen Umriss, der nur vom Mitteltrakt bestimmt und krönend durchbrochen wird. Zugleich bemerken wir an diesen beiden Bauten die Merkmale badischer Art. Nicht nur in der Streckung wie beim Gymnasium, beim Hirschen usw., wodurch sie sich der Gegend und dem übrigen Wohntyp anpassen, sondern in der Verteilung von Fenster und Mauerfläche. Beide Gebäude gehören jenem halb romanisierenden, halb italianisierenden „Ludwigsstil“ an, dem wir in München mit seinen unendlichen kräftigen Bogenfensterfolgen, ja gestraffter sogar in Berlin (Münze) fast bis zum Überdruss begegnen. Abgesehen davon, dass an den Lörracher Fassaden die Fenster einen größeren Wechsel in der Rahmung zeigen, was natürlich die Monumentalität im Ganzen einschränkt, sind sie an sich kleiner gebildet als in München oder Berlin. Das ist nicht allein „provinziell“, keineswegs, sondern je weiter wir in Deutschland nach Süden kommen, je weiter breitet sich die Mauer, die schlichte Hauswand und damit der Kubus zwischen den teilenden Gliedern. Die Verwaltungsgebäude haben damit nicht den drohenden Ausdruck von Kasernen oder staatlich gestrafften Macht: Sie sind Wohnungen des Volkes. Darin zeigt sich der Landescharakter und darin wirkt der Genius Weinbrenners nach.

(...) Schon an der Volksschule, am Amtsgericht und an vielen Privatbauten findet sich der Stil zurück zum Einfachen, Oberbadischen, „Toskanischen“

(aus „Lörracher Bauten, Arnold Pfister, 1938“)

Geschichtliches

In der Verfassungsurkunde vom August 1818 schrieb der Großherzog Carl von Baden „Die Gerichte sind unabhängig innerhalb der Grenzen ihrer Competenz.“ Aber noch bis Mitte des 19. Jahrhunderts war die Rechtspflege in den untersten Instanzen den „Ämtern“ und damit der Verwaltung zugeordnet, Beamte der Stadt-, Ober-, und Bezirksämter bildeten die erste Instanz. Liberale Kreise forderten die vollkommene Trennung von Justiz und Verwaltung, die seit 1818 bereits in Württemberg vollzogen war. Die vollständige Gewaltenteilung wurde in Baden erst im Jahre 1857 unter Großherzog Friedrich I eingeführt. In einer Verordnung vom 18. Juli 1857 wurde bestimmt: „Die Rechtspflege der Ämter wird mit dem 1. September des Jahres 1857 von selbstständigen Amtsgerichten ausgeübt.“ 1872 wurde das Kreisgericht aufgehoben und das Amtsgericht erhielt ein eigenes (das heutige) Gebäude zur Nutzung.

Die Nebenstelle des Amtsgerichts (Bahnhofstr. 4a, Untere Wallbrunnstr. 17-19) diente früher als Hauptpostamt und wurde 1887 von Architekt Johann Grießer-Sutter erbaut.


II. Wichtige Stationen in der historischen Entwicklung der Amtsgerichte in Baden

18. Juli 1857 Schaffung 66 selbständiger und unabhängiger Amtsgerichte in BadenTrennung der Rechtspflege von der Verwaltung
1864 Große Justizreform-          gesetzliche Bestätigung der Trennung der Rechtspflege von der Verwaltung-          Mündlichkeit und Öffentlichkeit aller Zivil- und Strafverfahren-          Neuordnung  der Gerichtsbezirke: es blieben 59 Amtsgerichte, bei denen - meist in unmittelbarer Nähe zum Gericht - Amtsgefängnisse eingerichtet wurden
1865 Richter werden vom Tag des Dienstantritts „unkündbar“Entlassung und Versetzung nur durch Disziplinargericht möglich
1913 Einführung eines Tagegelds für Schöffen
1931 Erste Frau wird zur Amtsrichterin (in Mannheim) ernanntheute: Frauen bei den Amtsgerichten stellen fast die Hälfte der Richterschaft dar (1993: 1. Amtsgerichtspräsidentin - Freiburg)
1933-1935 Entlassung aller jüdischen Richter (24  in Baden)
Während NS-Zeit Amtsgerichte sind auch zuständig für „Rasseschandeverfahren“, „Erbgesundheitsverfahren“, Verwertung der Vermögungswerte von Juden
2. Weltkrieg 23 badische Amtsgerichte werden personell erheblich reduziert und zu Zweigestellen (Z-Gericht) oder G-Gerichten (bloße Durchführung von Gerichtstagen) umgewandelt
Ende 1945 Organisatorischer Wiederaufbau des badischen Justizwesen abgeschlossen
1977 Schaffung der Familiengerichte (heute: 28 von 52 Amtsgerichten sind mit Familiensachen betraut)
1990 neues Betreuungsrecht: deutlicher Geschäftszuwachs für die Vormundschaftsabteilungen
1998 Neugestaltung des Insolvenzrechts - Schaffung von Insolvenzgerichten

Zuständig waren die Amtsgerichte in Zivilsachen ursprünglich für Streitigkeiten bis zu 200 Gulden (1864). Diese Zuständigkeit wurde dann immer mehr erweitert. Bis 1983 wurden Streitigkeiten bis zu einem Streitwert von 3.000 DM vor den Amtsgerichten verhandelt. Heute sind es solche bis 5.000 €. In Wohnungsmietsachen und Familiensachen sind die Amtsgerichte immer (ohne Streitwertbegrenzung) zuständig.

In Strafsachen durften die Amtsgerichte 1864 lediglich Freiheitsstrafe bis zu 8 Wochen verhängen, heute sind es Freiheitsstrafen bis zu 4 Jahren.

III. Aufgaben und Personal

Zu Beginn waren es nur ein Amtsgerichtsrat, der im Amtsgericht Lörrach als Richter Recht gesprochen hat. Mit der Zeit, der Bevölkerungszunahme, der wachsenden wirtschaftlichen und sozialen Bedeutung von Lörrach wurden die Aufgaben immer umfangreicher und die Fallzahlen stiegen kontinuierlich.

Heute hat das Amtsgericht Lörrach 100 Beschäftigte (darunter 14 Richter und 11 Rechtspfleger, 11 Gerichtsvollzieher und fast 20 Auszubildende). Es ist zuständig für ca. 166.000 Gerichtsansässige. Folgende Städte und Gemeinden des Landkreises Lörrach gehören zum Bezirk des Amtsgerichts: 79415 Bad Bellingen, 79589 Binzen, 79588 Efringen-Kirchen, 79591 Eimeldingen, 79592 Fischingen, 79639 Grenzach-Wyhlen, 79594 Inzlingen, 79400 Kandern, 79539/79540/79541 Lörrach, 79429 Malsburg-Marzell, 79618 Rheinfelden, 79595 Rümmingen, 79597 Schallbach, 79418 Schliengen, 79739 Schwörstadt, 79585 Steinen, 79576 Weil am Rhein und 79599 Wittlingen. Die übrigen Orte des Landkreises gehören zum Amtsgericht Schopfheim oder Schönau, die zum Landgerichtsbezirk Waldshut zählen.

Das Amtsgericht Lörrach hat mit Ausnahme der Grundbuchämter und des Mahngerichts Stuttgart keine Sonderzuständigkeiten abgegeben. Neben allen üblichen Gerichtsabteilungen gibt es das Familiengericht, das Zwangsversteigerungs- und Insolvenzgericht und die Gerichtszahlstelle. Seit 22.5.2006 ist das Amtsgericht Freiburg zuständig für die Handelsregistersachen aus dem AG Bezirk Lörrach. Landwirtschaftssachen werden seit 1.1.1998 beim Amtsgericht Freiburg bearbeitet.

Direktorin des Amtsgerichts ist Eva Voßkuhle. Verwaltungsleiter Sönke Blunck, Martina Wettklo als seine Stellvertreterin und die Verwaltungsgeschäftsstelle Doris Rehag und Sonja Metzger bilden den Kern der Verwaltung.

IV. Statistisches, Fallzahlen

Die von den Fallzahlen größte Abteilung bilden die 11 Gerichtsvollzieher mit über 30.000 Vollstreckungsaufträgen pro Jahr. Dabei treiben diese Beamten (5 Frauen 6 Männer) fast 4 Millionen Euro Schulden im Auftrag der Gläubiger ein. 5000 Eidesstattliche Versicherungen nehmen sie den zahlungsunfähigen Schuldnern ab. Weit über hundertfünfzig Wohnungen werden geräumt und 200 schlagende Männer aber auch Frauen aus den Wohnungen ihrer tyrannisierten Partner entfernt. Die Palette der Aufgaben umfasst auch Kindeswegnahmen, indem das Kind vom nicht sorgeberechtigten Partnern weggeholt und dem anderen Elternteil übergeben wird. Versteigerungen von gepfändeten Sachen und Wegnahmen von PKW und Pferden sind ebenfalls dabei.

Klassischer Schwerpunkt der amtsgerichtlichen Arbeit sind natürlich Strafsachen.

Mit sechs Richtern und 11 weiteren Beschäftigten, ist diese Abteilung die Größte im Haus. Dabei bewältigen die Richter/innen über 2000 Anklagen, bei denen  in 1200 Sitzungen pro Jahr über Schuld oder Unschuld der Angeklagten entschieden wird. 250 Anklagen entfallen auf das Schöffengericht und das Jugendschöffengericht. Der Schwerpunkt der Missetaten liegt auf Diebstahl, Betrug und Unterschlagung (über 500 Verfahren). Mit fast 400 Verfahren folgen die Strassenverkehrsangelegenheiten. Um Körperverletzung geht es in 200 Verfahren.

Dazu kommen noch über 2500 Strafbefehle, bei denen im schriftlichen Verfahren die Strafe ausgesprochen wird. In über 500 Bußgeldsachen kommt es in 6 % der Fälle zu einem Freispruch. In 94 % der Fälle behält die Bußgeldbehörde Recht. Dabei kommt jeder 8. gar nicht zur Verhandlung, so dass sein Einspruch ohnehin verworfen wird. Diese Zahlen sind übrigens in den vergangenen Jahren mehr oder weniger konstant geblieben

In den letzten Jahren leicht rückläufig sind die Zivilsachen. Waren es im Jahr 2000 noch fast 3000 Verfahren, haben im Jahr 2006 nur noch 2400 Bürger, Nachbarn, Firmen, Mieter und Vermieter gegeneinander geklagt. Schwerpunkt bei diesen Streitigkeiten sind über 500 Mietsachen. Streitigkeiten über Verkehrsunfälle sind mit 350 Verfahren vertreten. Steigend ist die Zahl der Nachbarschaftsstreitigkeiten: Von der Belästigung beim Grillen bis zum Entfernen von Bäume sind die Themen über die sich Nachbarn in 140 Verfahren im Jahr streiten.

Immer noch steigende Zahlen gibt es beim Familiengericht: Im Jahr 2006 stritten Eheleute in 1203 Verfahren um die Scheidung, Versorgungsausgleich oder Umgang mit den Kindern. Zwei Richterinnen und ein Richter scheiden pro Jahr über 500 Ehen und entscheiden über 250 Mal über das Sorgerecht für die gemeinsamen Kinder.

11 Rechtspfleger sind zuständig, wenn Häuser versteigert werden (fast 200 Verfahren im Jahr), weit über 100 Insolvenzverfahren durchgeführt werden oder in über 2.500 Betreuungsverfahren überprüft wird, ob alles mit rechten Dingen zugeht.

V. Besonderheiten

Das Amtsgericht Lörrach hat im Jahr 2001 als erstes Amtsgericht in Baden-Württemberg eine Infothek eingeführt. In diesem Jahr haben wir die Infothek noch erweitert, so dass nun auch eine Rechtspflegerin bei der Infothek direkt über Anträge auf Beratungshilfe entscheidet, Klagen zu Protokoll der Geschäftsstelle nimmt und Ansprechpartnerin für Gewaltschutzverfahren und anderes ist. Bei der Infothek sind daher immer mehr Zuständigkeiten gebündelt, so dass die rechtsuchenden Bürger und Zeugen an einer Stelle Auskünfte erhalten und Ansprechpartner finden.

VI. Finanzielles

Einkommensschwachen Personen erhalten Prozesskostenhilfe damit sie mit anwaltlichem Beistand einen Prozess führen können. Auch bei außergerichtlichen Problemen übernimmt das Amtsgericht die Kosten eines Anwalts. Im Jahr 2006 wurden so 921.000 € Anwaltskosten in gerichtlichen Verfahren übernommen. Die Kosten des außergerichtlichen Tätigwerdens übernahm das Gericht mit € 131.000.

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